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schönes, erfreuliches
und bemerkenswertes


Der meistgelesene Kulturblog der Hauptstadt – mit Kurzkritiken zu Theater, Tanz, Performance, Oper, Kunst, Kino und Literatur: bemerkenswert, sehenswert, hörenswert.

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Kreatur

© Sebastian Bolesch
Ein Klang-, Licht-, Kostüm- und Bewegungsteppich vom Feinsten. Anderthalb Stunden lang breiten Sasha Waltz und ihre vierzehn Tänzer ein Perfektionssektakel auf der Bühne aus, das ästhetischer kaum sein könnte. Die Kostüme entstammen gleichsam einem Bauhaus des 21. Jahrhunderts und illustrieren, wie schöne Hüllen manchmal nur schöne Geräusche produzieren – ohne etwa zu erzählen. Es gibt die Waltz’schen Körperansammlungen, -entblößungen, -verknotungen, dazu Verzerrfolien, Pusteblumenoutfits, einen Balken, eine Treppe. Es tut sich viel, manchmal auch unisono, allein die Wildheit der Kreaturen hält sich in klar definierten Grenzen. Kontrolle dominiert. Ausbrüche oder Überraschungen fehlen. Vielleicht hätte der Abend als begehbare Installation in seiner Breite gut funktioniert, die Verdichtung des Stoffes zu einem Bühnenstück hätte man sich weit deutlicher gewünscht. Jubelrufe und Buhs.
Tanz im August, Haus der Berliner Festspiele Do 24. August 2017 um 21 h Radialsystem Berlin Mi 20. Dezember 2017 Do 21. Dezember 2017 Fr. 22. Dezember 2017 Mi 27. Dezember 2017 Do 28. Dezember 2017 Fr 29. Dezember 2017 jeweils um 20 h

Mein Mali

© Mirjam Knickriem
Musik, Klänge, Geräusche und Atmosphären als wäre man in Mali. Die Hörspielfassung von »Mein Mali« bringt mit Stimmung und Dichte das echte Leben in Mali ganz nah heran. Lou Rodrian spricht Ombo, ein Mädchen aus dem Dorf Nombo in Westafrika, das gerne wieder zur Schule gehen möchte. Wäre das Dach ihres Klassenzimmers nicht bei einem Unwetter zerstört worden, würde sie das auch. Aber jetzt muss sie sich erstmal auf eine Reise begeben. Gemeinsam mit ihren Eltern überquert sie den Niger und begegnet Tuareg und kommt schließlich in Timbuktu an. Ein lehrreiches Stück Kinderliteratur von Mirjam Knickriem mit Musik von fischer, alias Jens Fischer. Auch die übrigen Rollen sind hochkarätig besetzt: Katja Riemann, Barbara Auer und Sebastian Blomberg lesen. 6 Euro von jeder verkauften CD gehen als Spende an die Welthungerhilfe für mobile Schulen in Mali. Das perfekte Weihnachtsgeschenk.

Wintersonnenwende

@ Arno Delair
Ein Mann, eine Frau, nicht mehr ganz jung, noch nicht alt, der Abend vor Weihnachten, sie streiten. Es geht um die angekommene Schwiegermutter, aber eigentlich wird nichts wirklich verhandelt, man weist sich zurecht. Hätte Yasmina Reza und nicht Roland Schimmelpfennig das Stück geschrieben, würde es an der Kömodie am Kurfürstendamm aufgeführt und dann wäre der Bekannte der Mutter sicher kein national tönender Arzt aus Paraguay. Seine unwirklichen Einwürfe überraschen aber wenig und gewendet wird hier auch nichts. Jan Bosse inszeniert eine gestelzte Künstlichkeit, wie man sie zweifellos in vielen Haushalten am 23. Dezember finden wird. Die Lebendigkeit ist dahin. Der »Clash of Cultures« zwischen dem linksintellektuellen Hausherren und dem herein geschneiten faschistischen Musikliebhaber ist so spannend wie der Weihnachtsbaum: unecht, abwaschbar und immergrün. Deutsches Theater, Berlin Sa 24. Oktober 2015 Di 27. Oktober 2015 So 8. November 2015 Do 12. November 2015 Fr 27. November 2015

Münchhausen

© Arno Declair
Ein Hut, ein Stock, ein Regenschirm: Milan Peschel wartet auf Münchhausen. Und das macht er mit Vergnügen – er hat die ganze Bühne für sich. Fabuliert und kalauert über sich als Figur, über Eitelkeit, Theater und das chronische Hochstaplergefühl. Armin Petras wird mit diesem Monolog wohl nicht in die Theateranalen eingehen, aber Jan Bosse inszeniert doch einen konsequenten Showdown mit vielen aberwitzigen Anspielungen. Der Abend strotzt vor Zitaten und man begegnet unter anderen dem Grafen Wronski, den Peschel vor ein paar Jahren in Jan Bosses Anna Karenina-Inszenierung spielte. Der kaugummikauende Frank Castorf kommt vor, Martin Kippenberger und Woody Allen. »Die Ewigkeit dauert lange, besonders zum Ende hin«, zitiert Peschel. Das Zitat sitzt. Deutsches Theater Berlin So 11. Oktober 2015, um 18 h Fr 16. Oktober 2015, um 20 h Do 29. Oktober 2015, um 20 h

Gastfreundschaft

»Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.«
Johann Wolfgang von Goethe

Table Top Shakespeare

© Hugo Glendinning
Ein Tisch, ein Schauspieler, ein Drama. Forced Entertainment erzählt alle 36 Dramen von William Shakespeare im Taschenformat. In jeweils 50 Minuten, zu jeder vollen Stunde je eines, täglich vier, neun Tage lang – auf dem Foreign Affairs Festival. Die Figuren von Shakespeares Stücken treten als Pfeffermühle auf, als Bierflasche, Zahnpastatube, Salzstreuer. Ein Schauspieler erzählt uns was bei Macbeth passiert, oder bei der Widerspenstigen Zähmung. Aus der Verdichtung der Dichtung entsteht eine konzentrierte und intime Atmosphäre und man lauscht der Erzähler Stimme als säße man auf Großmutters Schoß beim Märchenhören. Großes Kino. Es gibt noch Karten. Und vor allem gibt es alle Vorstellungen im Live-Stream Berliner Festspiele, Berlin Täglich bis Sa 4.7.2015 18 – 21 h zu jeder vollen Stunde

Courage

»Habt doch endlich einmal die Courage, euch den Eindrücken hinzugeben, euch ergötzen zu lassen, euch rühren zu lassen, euch erheben zu lassen, ja euch belehren und entflammen zu lassen.« Johann Wolfgang von Goethe

Ost-Schönheit

© Arno Declair
So viel Transitgeschichte dürfte kaum einer in sein 31jähriges Leben hineinbekommen haben. Im Osten geboren, mit sechs Jahren »rübergemacht«, mit 20 nach Westberlin, mit 26 in den wilden Osten und am 1.9.1989 wieder in die DDR eingebürgert. Mit seiner Ronald M. Schernikau Collage »Die Schönheit von Ost-Berlin« gelingt Bastian Kraft eine kluge Revue aus Geburt, Tod, BRD, DDR, AIDS, Elfriede Jelinek, Heiner Müller und Marilyn Monroe. Man findet auch die Schönheit der Einsamkeit, die Schönheit des Coming Out in der Westdeutschen Provinz, die Schönheit der Trash-Travestie und die Schönheit von Sätzen wie: »Alles lässt sich leben, auch der eigene Tod.« Das alles wird verdichtet in der Schönheit der fünf Schauspieler, die dieses kleine Leben ganz groß erzählen. Eine wichtige Stimme zum Mauerfalljubiläum. Zu sehen am Deutschen Theater Berlin So. 09. November 2014 Di. 18. November 2014 Do. 27. November 2014 Sa. 06. Dezember 2014 Di. 16. Dezember 2014 So. 28. Dezember 2014 9./11./ 20. Januar 2015

Komma

»Mir liegt auch 30 Jahre nach meinem Tode mehr an einem Komma, das an seinem Platz steht, als an der Verbreitung des ganzen übrigen Textes.«
Karl Kraus
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