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schönes, erfreuliches
und bemerkenswertes


Der meistgelesene Kulturblog der Hauptstadt – mit Kurzkritiken zu Theater, Tanz, Performance, Oper, Kunst, Kino und Literatur: bemerkenswert, sehenswert, hörenswert.

The ultimate culture blog — reviewing theatre, dance, performance, opera, art, film and literature: most widely read and much valued. Find out what‘s on.

Hexploitation

© She She Pop
»Was treibst du, wenn dich niemand sieht?«, fragt Sebastian, der einzige Mann im Performance-Kollektiv She She Pop. Der Abend »Hexploitation« ist eine Versuchsanodnung, um den Zusammenhang von Körper, Kapitalismus und Klimakterium aufzudecken. Es geht um Alter, Schönheit und Scham – im Mikrokosmos und Makrokosmos. Der Abend beginnt mit einer Nacherzählung des Film Gaslight von 1944. Der weiblichen Hauptfigur wird etwas eingeredet. Narrative reden uns etwas ein, bis wir sie selbst glauben. Wer die Narrative bestimmt, bestimmst also das Denken. »Hexploitation« hinterfragt die Narrative von Jungendwahn und Faltenfreiheit. Wir erfahren, dass die WHO die Menopause als »climacteric syndrome« definiert, also als Krankheit einstuft. »Ich bin bereit für die Nahaufnahme!«, ruft Johanna. Aber die vermeintliche Nabelschau mit Menstruationsblutberechnung fordert vor allem auf zu einem kritischen Hinterfragen der aktuellen Narrative, etwa der pandemischen. Wir alle, Zuschauer und Performer, sitzen in der She She Pop Inszenierung aus Hitzewallung, Horrorfilm und Hexenküche und dürfen uns fragen, mit welchen viel größeren Narrativen wir täglich bespielt werden. Was also bestimmt unser Denken? In diesem Sinne ein wahrhaft enthüllender Abend. Hebbel am Ufer Berlin, HAU2 Di 22. September 2020 Mi 23. September 2020 Do 24. September 2020 jeweils um 20 h Kampnagel Hamburg, K2 Fr 30. Oktober 2020 um 20:30 h Sa 31. Oktober 2020 um 20:30 h So 1. November 2020 um 18 h Weitere Termine finden Sie hier.

Kluge Gefühle

© Dorothea Tuch
It’s showtime: Das Stück beginnt mit einer der »36 Fragen« aus Arthur Arons soziologischem Experiment von 1997. Es hätte auch gut Frage Nr. 24 sein können: »Was denkst du über die Beziehung zu deiner Mutter?» Um eine Mutter-Tochter Beziehung geht es in »Kluge Gefühle«, um Verletzlichkeit, Einsamkeit, Gewalt, Tod und Tabu. Es ist die Geschichte der Autorin Maryam Zaree. Im Stück heißt sie Tara, gespielt von Eva Bay. Die eigentlich zentrale Figur aber ist die Mutter Shahla: Anke Engelke lässt sie bei ihrer Aussage vor dem Tribunal in Den Haag ganz pur und gerade vortragen – ohne Pathos, dafür mit viel Menschlichkeit. Es gelingt Anke Engelke die wenigen Sätze über die drastischen Ereignisse in Evin, dem meinst gefürchtetsten Foltergefängnis des Iran, fühlbar zu machen. Sie stellt sich furchtlos zur Verfügung und lässt das wirken, was sie sagt. Das schafft einen Raum für geteilte Erfahrung. »Kluge Gefühle« ist Maryam Zaree erstes Theaterstück, Nils Bormanns erste Regiearbeit und Anke Engelkes erste dramatische Theaterrolle. Anders als die Uraufführung beim Heidelberger Stückemarkt im April diesen Jahres verortet das Regie/Dramaturgen-Team Bormann/Zaree die Inszenierung zwischen einer Sitcom a la »Linie 1« und einem nüchternen Doku-Drama. Trotz manch stereotyper Phrasen und inszenatorischer Mutlücken ein klug gebauter Erstling und eine Anke Engelke, die man gesehen haben muss. HAU 3, Hebbel am Ufer, Berlin Mi 13. Juni 2018 um 20 h Do 14. Juni 2018 um 20 h

Rückkehr nach Reims

© Arno Declair
Als sein Vater stirbt, reist Didier Eribon zum ersten Mal nach Jahrzehnten der Abwesenheit in seine Heimatstadt Reims. Eribon hat ein Buch darüber geschrieben, viele Interviews gegeben. Thomas Ostermeier hat zusammen mit Sébastien Dupouey einen Dokumentarfilm dazu gedreht, der im Stück ein zentrales Element bildet. Der Autor Eribon erzählt seine persönliche Geschichte und fragt, warum ein Großteil des kommunistisch wählenden Milieus, dem er entstammt, inzwischen zum Front National übergelaufen ist. Es gibt Regionen, in denen der FN sechzig, siebzig Prozent der Stimmen bekommt. Die Arbeiter fühlen sich verraten und verkauft. Sie kommen nicht vor. Niemand sieht sie. Was findet man also an diesem Theaterabend, was die Medien nicht schon ausführlich verhandelt hätten? Ostermeier lässt in weiten Teilen Nina Hoss das Voice-over zu den Filmbildern im Hintergrund live einsprechen. Das Tonstudio-Bühnenbild macht die Anordnung aber noch nicht zum Theaterstück und so gibt es in der zweiten Hälfte Dialoge zwischen der Figur des Dokumentarfilmregisseurs, dem Tontechniker und Nina Hoss, die Nina Hoss spielt. Deindustrialisierung, Neoliberalismus, schwuler Autor, das sind bekannte Zutaten und keine »Breaking News«. Einziger irritierender Moment, als Nina Hoss weiter mit vierter Wand spielt und zeitgleich die beiden anderen Darsteller mit dem Publikum interagieren: Es gibt Migranten-Rap zum Mitklatschen. Alles Theater? Als der Eribon Text fertig gesprochen ist bringt Nina Hoss ihren Vater ins Spiel. Und das ist das hoffnungsfrohe Surplus. Sie spielt, dass sie sich dazu überreden lässt die Geschichte von Willi Hoss zu erzählen (der Kommunist, Grünenmitgründer und Umweltaktivist ist ihr Vater im echten Leben). Man glaubt ihr das Zögern nicht. Vielleicht, weil die Figur Nina Hoss in diesen letzten Minuten des Stückes sich mit Willis Tochter konfrontiert sieht. Ein atmosphärisch gut gebauter Abend – und doch wenig überraschend. Schaubühne Berlin Di 8. Mai 2018 um 20 h Mi 9. Mai 2018 um 20 h Do 10. Mai 2018 um 20 h Fr 11. Mai .2018 um 20 h Sa 12. Mai .2018 um 16 h Di 15. Mai 2018 um 20 h, englisch Mi 16. Mai 2018 um 20 h, englisch

Michael Kohlhaas

© Armin Smailovic
Es beginnt mit einem Zaubertrick: Kohlhaas wird geköpft. Vorhang. Ein Satz von Kleist mit Märchenerzählerstimme aus dem Off. Dann eine lange Slapsticksequenz: drei Spieler in einer Bretterbude (Thomas Niehaus, Jörg Pohl, Paul Schröder). Man hält sie für reaktive Beamte, die aussehen wie Untote und eintreffende Weisungen ausführen, bis sich nach 42 wortlosen Minuten herausstellt, dass sie Unternehmer sind (die Gebrüder K. nämlich) und die Flut der Weisungen sie plötzlich übermannt. Antú Romero Nunes setzt bei seiner Inszenierung alles aufs Spiel. Er scheitert und gewinnt zugleich und es ist ihm Ernst mit beidem. Wie Michael Kohlhaas. Kohlhass will sich Recht verschaffen. Kleist beschreibt den Konflikt zwischen Naturrecht und positivem Recht, das durch Gesetzgebung entsteht. Der Abend ist eine vehemente Aufforderung sich genau damit auseinander zu setzen. Wenn Konzerne praktisch keine Steuern zahlen, ist die öffentliche Erregung groß. Nach geltendem Recht tun sie nichts Ungesetzliches. Es muss das positive Recht also dem ethisches Empfinden (Naturrecht) angepasst werden. Das fordert Kohlhass für sich ein. In einem Feuerwerk aus Ideen und Anspielungen prasseln, lodern, brennen die Kohlhaas’schen Fragen nach Ordnung und Unordnung, Macht und Ohnmacht, Recht und Gerechtigkeit, Verunsicherung und Sicherheit, Verfolgen und Verfolgt, Kampf und Verletzlichkeit, Scheitern, Gelingen und danach ein Ende zu finden. Nunes glückt das Kunststück einer komödiantischen Tragödie, einer tragischen Komödie. Ein kluger Abend mit reichlich Stoff sich zu erregen. Thalia Theater Hamburg Sa 27. Januar 2018 um 19:30 h Di 6. Februar 2018 um 20 h Sa 10. Februar 2018 um 20 h So 11. Februar 2018 um 15 h So 18. Februar 2018 um 19 h Fr 23. Februar 2018 um 20 h Sa 10. März 2018 um 20 h Mi 14. März 2018 um 20 h Do 15. März 2018 um 20 h Mo 23. April 2018 um 20 h Di 15. Mai 2018 um 20 h Fr 25. Mai 2018 um 20 h Do 07. Juni 2018 um 20 h So 17. Juni 2018 um 17 h Sa 23. Juni 2018 um 14 h

Das achte Leben (Für Brilka)

© Armin Smailovic
Ein Sog, ein Brennen, ein Jahrhundertroman. Über 100 Jahre und 1200 Seiten umspannt der Roman von Nino Haratischwili, erzählt den Aufstieg und Fall des Kommunismus aus der Sicht von fünf Generationen der georgischen Familie Jaschi: Warum etwa aus dem freundlichen Kind Kostja ein gar nicht mehr freundlicher Großvater wird. Jette Steckel schafft mit ihrer Bühnenfassung eine magische Adaption, aus dramatischen Episoden und heiteren Momenten, die den Zuschauer fast fünf Stunden in ihren Bann zieht. Die neun Spieler verweben die Verstrickungen ihrer Figuren mit dem System, mit den Herrschenden, mit den anderen, zu einen großen roten Teppich, der im Laufe des Abends Stück für Stück abgerollt wird. Sie tanzen, singen und spielen vor historischen Filmprojektionen und geben eine Ahnung davon, wie es hinter dem eisernen Vorhang gewesen sein könnte. Geschichte ist immer erstmal subjektiv – bevor Historiker bemüht sind eine Art Objektivität herzustellen. Jette Steckel bringt uns die Subjektivität der Figuren ganz nah und schreibt damit Geschichte. Großes Kino, großes Theater. Stehende Ovationen. Thalia Theater Hamburg Di 11. April 2017 um 19 h Sa 22. April 2017 um 19 h So 23. April 2017 um 14 h Sa 6. Mai 2017 um 19 h So 7. Mai 2017 um 19 h Mo 15. Mai 2017 um 19 h Di 16. Mai 2017 um 19 h Mi 28. Juni 2017 um 19 h Do 29. Juni 2017 um 19 h Fr 7. Juli 2017 um 19 h

Jérôme Bel

© Herman Sorgeloos
»Ich betrachte mich als bildenden Künstler,« sagt Jérôme Bel über sich. Und so benannte er sein zweites Stück einfach nach sich selbst. Das war 1995. Seine experimentelle Performance war seitdem über 160 Mal auf der ganzen Welt zu sehen. Die vier nackten Akteure sind noch die gleichen wie vor 20 Jahren. Nicht nur das macht die Inszenierung zur historischen Aufführung. Jérôme Bel zitiert aus den Happenings der 1960er Jahre und bringt diese wiederum in den Bühnenraum, spielt mit Köpern, Licht, Musik – und dem Publikum. In der einstündigen Performance entwirft Bel gleichsam eine humorvolle »Gegendarstellung« zum Tanz. Er konfrontiert unsere Sehgewohnheiten mit nicht ausgebildeten, nicht-erotischen Anti-Körpern. Er reduziert seine Idee des Nicht-Tanzes bis zu einem minimalistischen Nullpunkt, wo er jeden Erzählstrang verweigert. Was ist Identität? Die Summe aus Marken, Maßen, Größen, Gewicht und Kontoständen? Hebbel am Ufer, Berlin Fr 16. September 2016 im Anschluss Publikumsgespräch FIAF/Crossing the Line Festival, MoMA, New York Do 27.– Sa 29. Oktober 2016 FringeArts, Live Arts Festival, Philadelphia 2. und 3. November 2016 Bookend Festival, Walker Art Center, Minneapolis Fr 4. November 2016

Five Easy Pieces

© Phile Deprez
Der Art Center CAMPO in Ghent bittet Milo Rau ein Kinderstück mit belgischen Kindern zu machen. Nichts ist für ihn naheliegender als ein Stück über Marc Dutroux zu entwickeln. Belgien – KInder – Dutroux. Es heißt »Five Easy Pieces«, wie eine Fingerübung von Igor Strawinsky. Easy ist in diesem Reenactment aber gar nichts. Der Stoff hat es in sich. Der Zuschauer wird konfrontiert mit dem Zuschauen im Theater, mit Voyeurismus und mit Unerhörtem, was man nicht hören will – von Kindern noch viel weniger. Die sieben Kinder zwischen 8 und 13 Jahren spielen und singen alles, ausser Marc Dutroux. Der bleibt eine Leerstelle, den will keiner spielen. Es gibt immer wieder Momente im Stück, an denen fragt man sich, ob es an Kindesmissbrauch grenzt, Kinder mit diesen Texten auf die Bühne zu stellen. Am Ende bekommt man das Gefühl, die Kinder nehmen das spielen als Spiel und nur die Erwachsenen haben ein Thema mit diesen existentiellen Themen. Großer erleichternder Applaus am Ende und viele intensive Bilder mit denen man nach Hause geht. Sophiensäle Berlin Sa 2. Juli 2016 um 19:30 h So 3. Juli 2016 um 19:30 h TOpublic Festival Oslo, Norwegen 7. und 8. Juli 2016 19 h Singapore International Festival of Arts, Victoria Theatre Singapur 18. bis 20. August 2016 um 20 h Münchner Kammerspiele, München 1. bis 3. Oktober 2016 Frascati Theater Amsterdam Fr 10 Februar 2017 um 20:30 h Sa 11 Februar 2017 um 20:30 h Sick Festival, Manchester Do 23 – Sa 25 März 2017

Schiff der Träume

© Matthias Horn
Karin Beier baut einen Drei-Stunden-Abend wie ein Schiff. Er beginnt auf dem intellektuellen Oberdeck. Nah an Fellinis Film »Schiff der Träume«. Die geschlossene Gesellschaft der Orchestermitglieder probt »Human Rights Nr. 4«, das Opus ihres verstorbenen Dirigenten, auf dem Weg zu seiner Seebestattung in er Ägäis. Dann die zweite Hälfte des Abends: Veränderung. In Seenot geratene Refugees werden gerettet und aufgenommen. Aber die »Geretteten« nehmen nicht, sie geben. Sie bringen Heil, Humor und Verjüngungsgene für unsere überalterten mitteleuropäischen Gesellschaften. Das proklamieren sie herrlich ironisch, rasant, farbig und bewegend. Ihr »Schwarzen Humor« überrascht und stellt manches auf den Kopf. Trotzdem meint die Oberdeckgesellschaft: Das Boot sei voll. Die drögen weißen Herrenmenschen kommen mit den aufregenden schwarzen Afrikanern nicht wirklich zusammen. Und der Abend nicht wirklich mit seinen Ansprüchen. Deutsches Theater Hamburg Sa 28. Mai 2016 um 19:30 h So 19. Juni 2016 um 18:00 h

Mitleid. Die Geschichte des Maschinegewehrs

© Daniel Seiffert
Flüchtlinge kommen zu uns und bringen ihre Geschichte mit. Scheinbar hat es diese massive Migrationsbewegung gebraucht, bis Europa aufhorchte und begriff, was in Syrien passiert. Milo Raus Inszenierung thematisiert die Arroganz der Berichterstattung und die Arroganz des Helfens. Ursina Lardis Kunstfigur berichtet als Ich-Erzählerin von ihren »Erfahrungen« als Helferin. Die Texte speisen sich aus Interviews mit NGO-Mitarbeitern, Geistlichen und Kriegsopfern in Afrika und Europa. Nahe kommt einem das nicht. Und vielleicht soll es das auch nicht. Ursina Lardi spielt eine Schauspielerin, die eine Schauspielerin spielt, die einen Text vorträgt. Milo Rau konfrontiert die Erwartung des Zuschauers mitzuleiden oder sich einzufühlen mit kühler Arroganz. Inhaltlich hält der Abend eher denen den Spiegel vor, die vermutlich nicht ins Theater gehen. Für die Anwesenden aber ist die kolonial und globale Kapitalismuskritik in weiten Strecken absehbar und wenig überraschend. Am Ende bleib auch ein Geschmack von »gut gemeint«. Milo Rau hat erheblich Grundsätzlicheres auf die Bühne gebracht – wie etwa mit Hate Radio. Schaubühne, Berlin Do 31.März 2016 bis So 3.April 2016 So 10. und Mo 11. April 2016 Weitere Termine im Mai: 15.,18.,19.,,20., 26., 27., 28., 31. Mai 2016

Mein Kampf

© Candy Welz
Heute erscheint die 2000 Seiten starke kommentierte Ausgabe von Adolf Hitlers »Mein Kampf«. Die vom Freistaat Bayern verwalteten Urheberrechte laufen aus. Und Rimini Protokoll haben darüber pflichtgemäß ein Stück gemacht: mit sechs Menschen und ihren Geschichten mit dem Buch. Wer sich bei einem solchen Thema Brisanz auf der Bühne erwartet, wird enttäuscht werden. Es wird viel politisch Korrektes verhandelt. Manchmal zum Schmunzeln und durchaus unterhaltend, aber Spannung kommt in den 2 Stunden und 15 Minuten nicht auf. Bereichernde Perspektiven liefern Alon Kraus und der Rapper Volkan. Das hätte man sich mehr gewünscht. Trotzdem ein wichtiger Abend zur politische Bildung. Hebbel am Ufer Berlin Fr 8. Januar 2016 Sa 9. Januar 2016 So 10. Januar 2016 jeweils 20 h HAU 1 Kammerspiele München, Kammer 1 Fr 29. Januar 2016 So 31. Januar 2016 Schauspiel Leipzig Mi 17.Februar 2016 Do 18. Februar 2016 Schauspiel Dresden Mi 23. März 2016 Do 24. März 2016 Onassis Cultural Center, Athen Do 21. April 2016 Fr 22. April 2016 Sa 23. April 2016

Black Mountain College

© Courtesy Western Regional Archives
Das Black Mountain College startete 1933 als interdisziplinäres Experiment und wurde als Bauhaus Nachfolger legendär. Zahlreiche emigrierte Bauhaus Lehrer, wie Anni und Josef Albers, Alexander Xanti Schawinsky und Walter Gropius trugen die Idee des interdisziplinären Arbeitens und Lehrens in North Carolina weiter. Gemeinsam mit den amerikanische Kollegen Richard Buckminster Fuller, John Cage und Merce Cunningham machten sie das Art College zu einem der progressivsten und einflussreichsten Ausbildungsstätten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert. Zum ersten mal in Deutschland gibt es nun eine umfangreiche Ausstellung über das Black Mountain College im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin: mit Bildmaterial, Kunst, Fotos, Studentenprojekten und spannenden Interviews mit Zeitzeugen, die auch online abrufbar sind; wie mit Ati Gropius, Lisa Jalowetz-Aronson oder Pete Jennerjahn, Hamburger Bahnhof, Berlin Di bis So 10–18 h Do bis 20 h noch bis 27.9.2015

Das Kongo Tribunal

© Daniel Seiffert
Wir sind alle Spieler in diesem Theatergerichtssaal. Es geht um »Wahrheit und Gerechtigkeit«, so steht es auf den Transparenten, die schon im ersten Teil (Bukavu Hearings) im Kongo gehangen haben. Milo Rau und sein Team vom International Institute of Political Murder haben eine prominente Geschworenen-Jury in Berlin versammelt: Wolfgang Kaleck, Saran Kaba Jones, Harald Welzer, Antoine-Marc Vumilia Muhindo, Colette Braeckmann und Saskia Sassen. Mit den beiden Strafrechtlern, die am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag als Anwalt gegen kongolesische Milizenführer tätig sind, bekommen die Hearings beeindruckende Strahlkraft und beklemmende Deutlichkeit. Wie dem historischen Vorbild ist den Berlin Hearings ein großes Echo und politische Wirksamkeit zu wünschen. Es gibt einen Liveticker und am Ende das Urteil zum Nachlesen. Sophiensäle Berlin Sa 27. Juni 2015 12–15 h 17–20 h So 28. Juni 2015 14–20 h

Das schweigende Mädchen

© JU/Ostkreuz
Ein schauriges Jüngstes Gericht macht Elfriede Jelinek aus dem NSU-Prozess. Johan Simons reduziert die Polemik auf 40 Seiten und lässt sie von acht Schauspielern verlesen, als wären es die Prozessprotokolle selbst. Den Toten gedenkend sitzen da Engel, Propheten, Jungfrauen, Jesusfiguren und erörtern das Nichtwissen, das Wissen-Wollen und das Verstehen. Die Produktion der Münchner Kammerspielen war bei den Autoren Theatertagen am Deutschen Theater Berlin zu Gast und wird noch ein letztes mal in München zu sehen sein. Derniere Münchner Kammerspiele, München Sa 11.07.2015

The Civil Wars

© Marc Stephan
Auf der Bühne passiert nicht viel: auf einem Podest ein Wohnzimmer, darin vier Menschen, darüber im close-up ihre Gesichter auf einer Filmleinwand. Man schaut wie durch einen Guckkasten in die Leben der vier belgischen und französischen Schauspieler. Die erzählen ihre ganz privaten Geschichten, fragen nach ihrem eigenen Glauben, ihrer politischen Überzeugung. Es ist Milo Raus persönlichstes Stück. Kein dokumentaristischer Zugriff, wie man ihn sonst vom »International Institute of Political Murder« kennt, keine großen Kriege, keine Völkermorde, es geht um die Kriege im kleinen, die Brutalisierung der Gesellschaft – hausgemachte Kriege. Der rote Faden der »home-made war zone« verliert sich im Laufe des Abends, man folgt den Spielern aber gebannt, weil sie einen ganz dicht heran lassen, an das was sie zu erzählen haben. The Civil Wars glückt vor allem, weil einem die Menschen nahe kommen, nicht unbedingt mit dem, was erzählt wird, sondern wie es erzählt wird. Schaubühne Berlin, im Rahmen von F.I.N.D. #15 Sa 18. April 2015 So 19. April 2015 Wiener Festwochen, brut im Künstlerhaus, Wien 13. – 15. Juni 2015 Grec Festival, Barcelona 23. bis 27. Juli 2015 Spielart Festival München 30. Oktober bis 1. November 2015

Common Ground

© Esra Rotthoff
Common Ground ist nicht der kleinste gemeinsame Nenner, eher die größte gemeinsame Vielfalt, kein Betroffenheitstheater, obwohl alle 8 Spieler betroffen sind. Sie erzählen Versatzstücke aus ihrem Leben – von selbst erlebten Kriegswirren und einer gemeinsamen Bosnienreise –, verschnitten mit historischen Ereignissen des Jugoslawienkrieges. Das von Yael Ronen und den Schaupielern kollektiv erarbeitete Stück ist erfreulicherweise wirklich ein Stück: direkt, intensiv und dringlich. Eben keine wohlfeile Lecture Performance über Krieg, Schuld, Vergebung, Verdrängung, Vergessen. Es geht richtig zur Sache und so geht man ergriffen und bewegt aus dem Theater und fragt sich, wie sie das machen, selbst betroffen zu sein, die eigene Geschichte zu spielen, auf der Bühne gleichzeitig Figur wie Mensch zu sein. Es gelingt ihnen ein ergreifendes Plädoyer für Menschlichkeit und Frieden. Common Ground wurde zum Theatertreffen 2015 und zu den Mühlheimer Theatertagen eingeladen. Gorki Theater Berlin Do 7. Mai 2015 Fr 8. Mai 2015 Fr 15. Mai 2015 Fr 12. Juni 2015 Sa 27. Juni 2015 So 28. Juni 2015, jeweils 19:30 h Mülheimer Theatertage So 31. Mai 2015 Schillertage, Mannheim Mo 15. Juni 2015
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